Ein Zeitzeuge erinnert sich.
Von Wolfgang S.
Zurück ins Vinyl-Zeitalter
Die 70er waren eine Zeit vor dem Personal Computer, ohne Internet und GPS, selbst die CD erschien als kühne Zukunftsvision. Home-Video und Musikkassette waren technologische Innovationen. Medienunternehmen, wie die Deutschen Grammophon verkauften weiterhin erfolgreich ihre Klassik-LPs und die Menschen hinter den Vinyl-Scheiben fanden noch die Zeit, sich zu treffen und dabei verträumt den freien Ausblick auf die Außen-Alster zu genießen.
Ein schöner Frühlingstag des Jahres 1975
“Wir saßen mal wieder bereits am frühen Nachmittag beim Pinot Grigio, die Segelboote zogen bei schönstem Wetter auf der Alster ihre Bahnen und wir schauten versonnen zu”, erinnert sich Wolfgang Sedat. Die Frage eines Kollegen inspirierte die Runde: “Warum segeln wir eigentlich nicht selbst da?”. Die Antwort war relativ einfach: “Weil wir nun mal kein Boot haben!”. Wolfgang S. war bereits Bootseigentümer: Sein Fahrzeug mehr ein Trimmgerät zur Körperertüchtigung für zwei Personen. Trapez-Akrobatik für den Vorschoter außenbords am Drahtseil und häufiges Wassern gehörten dazu. “Darüber hinaus hatte das Boot die unangenehme Eigenschaft, schon beim bloßen Anblick zu kentern”, berichtet Sedat. Von den Kollegenwünschen, genährt vom verträumten Blick auf die Alster, war das weit entfernt. “Gemeinsam ein Firmenboot kaufen?” fragte sich die Runde. “Teuer, teuer … Eigentlich könnte ja auch die Firma … ? Aber warum sollte sie?”
Die erlösende Idee war schnell gefunden: “Wir gründen einen Segelclub.” Zufällig zählte die Runde sieben Mitarbeiter. Was lag also näher, als das Gründungsprotokoll sofort zu entwerfen. Vereinsnamen wurden ausgetauscht: Vielleicht “Alsterglitscher”, “Gelbetikett-Piraten” oder “Crazy Störtebecker Connection”? Ratlos tauschte das Septett Blicke, bis einer listig lächelnd fragte: “Wie war das noch mit dem Boot, das wir ja dringend benötigen und das möglichst die Firma bezahlen soll? Das könnte vielleicht klappen, wenn wir glaubhaft nachweisen, dass wir keineswegs zu unserem eigenen Vergnügen zu segeln gedenken, sondern ausschließlich zum Ruhme der Firma!” “Der Deutschen Grammophon Gesellschaft etwa?” “Nein, nein …” das listige Lächeln wurde zum satanischen Grinsen … “wir wollen doch nicht kleckern, sondern klotzen: Ich denke da eher an die Holding, die POLYGRAM !”
Leinen los für den Polygram Segelclub
Ein Club nimmt Fahrt auf: Mit Gründungsversammlung, Satzung, Eintragung ins Vereinsregister, Vorstandswahl, Mitgliederwerbung brachten den Verein schnell auf Kurs. Fehlte nur noch das richtige Boot. “Bequem sollte es sein, möglichst kentersicher und ein großes Cockpit haben”, erinnert sich Wolfgang S., “und auch eine kleine Kajüte für Wein und Bier stand auf der Wunschliste.” All das bot ein kleiner Jollenkreuzer vom Typ Lanaverre 510. Die Entscheidung für ein solches Boot war schnell getroffen.
Mit Mut und einer gewissen Unbekümmertheit überzeugten die Gründer ihren Arbeitgeber von der Notwendigkeit des Bootskaufs. Sie ernannten ein dreiköpfiges “Boot-Beschaffungskomitée”, das sofort einen Termin in wichtiger Sache beim obersten Boss anfragte und erstaunlicherweise auch bekam. Mutig und im festen Glauben an die Mission überwanden das Beschaffungstrio die hoheitsvolle Distanz von der Tür des Direktionszimmers zu dem gewaltigen Schreibtisch, an dem sie der Siemens-gestählte Firmenlenker im Curd-Jürgens-Look erwartete: “Morgen, was gibt’s?” Die Antwort etwas weniger souverän: “Ja, äh, wir sind… ja sozusagen vom Polygram Segelclub … und so.” Erstaunt die Nachfrage: “Was sind sie, ich hör’ wohl nicht richtig? Drücken Sie sich bitte deutlicher aus.”
Die PSCler der ersten Stunde erklärten, wie alles gekommen war, immer gewärtig, sofort entlassen zu werden. Der Pinot Grigio wurde nicht erwähnt. Es sei eine Ehre, den Namen Polygram nun auch in der vornehmen Seglerwelt heimisch zu machen.
Das überzeugte und die Delegation konnte auf das wesentliche kommen: “Ja, da wäre noch was: irgendwie brauchen wir doch ein Boot …” Überraschendes Verständnis aus der Vorstandsetage: “Natürlich, Sie sind ja nicht Jesus, man kann ja schließlich nicht über das Wasser laufen, hahaha – was soll’s denn sein?” “Na ja. wir dachten da an einen Jollenkreuzer …” Ganz Geschäftsmann kam der Sponsor schnell zur wirtschaftlichen Seite des Unternehmens: “Kreuzer ist gut, kenn ich, macht was her. Mein Golfbruder hat auch einen, am Mittelmeer. Was soll er denn kosten?” Gut, dass die Segler bereits recherchiert hatten: “Hm, wir dachten so an DM 14.000,- oder so…” Sie hatten offenbar bescheiden gepokert: “Was, nur 14.000 Mark? Mein Golfbruder hat 20x so viel bezahlt! Wohl echtes Schnäppchen, was? Na dann machen Sie mal.”
“Heißt das, dass die Firma…?” zweifelten die Verhandler noch. Doch der Abschluss war geglückt: “Klar, was glauben Sie denn.” Gut vorbereitet zog das Trio ein Papier aus der Tasche. “Nur der guten Ordnung halber und für die Buchhaltung, könnten Sie uns das abzeichnen?” Wichtige Entscheidungen traf man hier offenbar zügig: “Geben Sie schon her … und nun viel Erfolg, Wiedersehen.”
Damit waren die DM 14.000 genehmigt. Sedat stürzte los und bestellte sofort das Boot, das dann auch bald geliefert wurde. Die Rechnung sorgte ein halbes Jahr lang für Aufregung in der Buchhaltung, denn ein Segelboot passte so gar nicht in den Geschäftsbereich eines Schallplatten-Unternehmens. Man entschloss sich dann, den Betrag einfach den Werbungskosten zuzuschlagen.
Die organisatorischen Voraussetzungen für den Clubbetrieb waren bald erfüllt. 34 segelbegeisterte PolyGram-Mitarbeiter riefen den Verein mit dem Namen Polygram Segelclub e.V. am 7. April 1975 auf der Gründungsversammlung ins Leben.
Der Club konnte geschäftsmäßig seinen Betrieb aufnehmen und die Segelei auf der Alster aber auch auf der Ostsee, etc. konnte beginnen.